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02.01.2024

Zusammen mit anderen Organisationen haben wir heute die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert:

Zwischen dem 23. und 26. Dezember flogen türkische Kampfflugzeuge und Drohnen 74 Angriffe auf die kritische Infrastruktur Nord- und Ostsyriens (medizinische Einrichtungen, Kulturgüter, Wasser- und Lebensmittelversorgung), was international als Kriegsverbrechen gilt. Die Bombardierungen hielten in minderer Intensität bis zum 30.12.23 an. Das türkische Verteidigungsministerium bezeichnete die Angriffe als „Vergeltung“ für den Tod mehrerer türkischer Soldaten bei Guerilla-Aktionen in der Kurdistan-Region des Iraks (KRI).

Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) veröffentlichten eine Jahresbilanz, wonach die Türkei 2023 den Nordosten Syriens 798 Mal angegriffen hat, davon in 103 Fällen mit Kampfjets und Drohnen. Bereits Anfang Oktober 2023 hatte die Türkei innerhalb weniger Tage große Teile der zivilen Infrastruktur zerstört, dabei 92 Menschen getötet und 89 Menschen verletzt. Zu den Zielen gehörten Wasserwerke, Ölraffinerien, Elektrizitätswerke, aber auch Geflüchtetencamps und Krankenhäuser. Die Reparaturarbeiten hatten gerade erst begonnen, aber es mangelte nach wie vor an Wasser, Elektrizität und Gas.

Die Zivilbevölkerung in Nord- und Ostsyrien hat nichts mit den Kämpfen der Guerilla im Irak gegen die zunehmende Okkupation irakischen Territoriums durch die Türkei zu tun.

Die Angriffe haben dramatische Folgen: Angesichts des umfassenden Embargos gegen Nord- und Ostsyrien sind zerstörte bzw. beschädigte Kraftwerke, Fabriken, Nahrungsmitteldepots und vor allem medizinische Einrichtungen nicht zu ersetzen.

Auch von deutschen NGOs getragene Einrichtungen zerstört

Das durch die Angriffe vollkommen zerstörte ‚Kobani Medical Center‘, umfasste eine kostenlose Notfallambulanz für die Stadtbevölkerung, eine Ambulanz für Diabetiker:innen und ein Kinderimpfzentrum. Der deutsche Verein „Armut und Gesundheit“ hat es zusammen mit „Ärzte ohne Grenzen“ gegründet und trägt die laufenden Kosten. Nach den schweren Erdbeben im Februar 2023 wurde es u.a. mit Spendengeldern der „Kinderhilfe Mesopotamien e.V.“ und der „Initiative Kölner Helfen“ wieder Instand gesetzt. In Qamishlo wurde ein Behandlungszentrum für Dialyse-Patienten und eine Produktionsstätte für medizinischen Sauerstoff zerstört, die auch mit Spendengeldern von deutschen Organisationen errichtet wurden. Die Mobile Klinik der Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V., die gemeinsam mit der Frauenstiftung WJAS für Frauen und Kinder im Umland von Dêrik betrieben wird, musste aufgrund der Angriffe ihre Arbeit erneut vorübergehend einstellen, um nicht selbst zum Ziel türkischer Drohnen zu werden. Ein von der „Initiative für Frieden und Hoffnung in Kurdistan“ und anderen deutschen Initiativen initiiertes Bildungsprojekt für behinderte Kinder und Jugendliche in Kobanê musste die Arbeit unterbrechen, weil die Kinder und das Personal evakuiert werden mussten. Mediziner:innen der Internationalen Nothilfe IEH aus Europa können wegen der anhaltenden Angriffe vor Ort keine medizinische Hilfe leisten. 712 grenznahe Schulen wurden geschlossen, 90.000 Schüler:innen sind davon betroffen.

Die Türkei initiiert neue Fluchtbewegungen

Die multiethnische und multireligiöse Bevölkerung vor Ort, die sich seit Jahren nach demokratischen, ökologischen und feministischen Werten selbstverwaltet, verliert durch die dauernden Angriffe der Türkei jede Sicherheit und Stabilität. Die Menschen dort, die in unser aller Interesse den IS besiegt haben, stehen heute unter ständiger Bedrohung und haben keinerlei Mittel, sich gegen die allgegenwärtigen Drohnen und die Kampfflugzeuge zu verteidigen. Die ökonomische Basis bricht zusammen, von wirtschaftlicher Entwicklung ganz zu schweigen. „Nord- und Ostsyrien hat sich seit über einem Jahrzehnt zu einer Demokratie mit starken Frauen- und Minderheitenrechten entwickelt. Nachdem der sog. IS zu großen Vertreibungen aus der Region geführt hatte, ist es nun die Türkei, die neue Flüchtlingsströme zu verantworten hat. Die vielen intensiven Bombardierungen, sowie die Besetzungen von Teilen Nordsyriens durch die Türkei haben zu neuen Fluchtbewegungen – auch nach Europa – geführt. Allein am 24.12.23 flohen mehrere hundert Menschen über die Grenze in den Nordirak.

Deutschland sollte im eigenen Interesse Fluchtursachen bekämpfen und den Menschen Stabilität, Sicherheit und eine Perspektive in ihrer Heimat Nord- und Ostsyrien ermöglichen. Darum muss die Bundesregierung die Bombenangriffe des NATO-Partners Türkei auf die zivile Infrastruktur klar verurteilen. Lassen Sie Erdogan nicht einfach gewähren, wenn er die Region weiter destabilisiert: Denn die Intention der türkischen Regierung ist es, durch die fortdauernden Angriffe und Zerstörungen die dort ansässige Bevölkerung zu zermürben, zur Flucht zu zwingen, um letztendlich durch eine dauerhafte Änderung der Bevölkerungsstruktur zugunsten der Türkei eine Ausweitung des türkischen Staatsgebiets auf die von Erdogan angestrebte „Sicherheitszone“ zu erreichen. Dabei gibt es bisher keinen Hinweis, dass Angriffe aus Nord- und Ostsyrien auf die Türkei jemals stattgefunden haben.

Uns als in Nord- und Ostsyrien tätige deutsche NGOs und Einzelpersonen ist wichtig, dass die Bundesregierung sich deutlich zu den türkischen Angriffen äußert.

Daher fordern wir:

  • Eine Verurteilung der Angriffe auf die Infrastruktur & Zivilbevölkerung durch die Außenministerin und die Bundesregierung
  • Schnelle Hilfe für Wiederaufbaumaßnahmen der zerstörten Infrastruktur durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Gebiet der Selbstverwaltung
  • Freigabe von BMZ-Mitteln auch für uns als kleine NGOs
  • Einsatz bei der NATO und dem UN-Sicherheitsrat für eine Flugverbotszone gegen die Türkei über Nord- und Ostsyrien sowie den Nordirak und das ezidische Siedlungsgebiet in Shengal
  • Keine Waffenlieferungen oder Drohnenkomponenten an die Türkei

Lassen Sie uns gemeinsam auf die Lage und die Zerstörungen in Nord- und Ostsyrien aufmerksam machen!

Wir werden alles versuchen, um die Zivilbevölkerung beim Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur zu unterstützen!

Erstunterzeichner (in alphabetischer Reihenfolge):

Adopt a revolution

Akram Naasan: Arzt für Notfallmedizin

Dialogkreis e.V. (Mail: dialogkreis@web.de)

Dr. Michael Wilk: Notarzt, Psychotherapeut

Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV)

Initiative für Frieden und Hoffnung in Kurdistan e.V.

Initiative Kölner helfen

Internationale Nothilfe (IEH)

Kinderhilfe Mesopotamien e.V.

Kölner Spendenkonvoi e.V.

medico international

Projekt für Bildung e.V.

Städtefreundschaft Frankfurt – Kobanê e.V.

Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V.

Städtepartnerschaft Köln – Qamishlo

Städtepartnerschaft Oldenburg – Raqqa e.V.

Verein Armut und Gesundheit e.V.

Welle – Zentrum für Traumapädagogik

you-are-welcome

Redaktioneller Hinweis:

Die Zahlen im Text des Offenen Briefes lagen uns zum Zeitpunkt des Verfassens vor und können sich nach weiteren Auswertungen des Büros für Öffentlichkeitsarbeit der Selbstverwaltung noch ändern.

Weitere Unterstützer*innen (Letzte Aktualisierung: 19.02.2023, 22:00 Uhr):

Adam, Johannes, Facharzt für Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Palliativmedizin
Auge für Freiheit
Bahrs, Dr. Ottomar, Sprecher des Dachverbands Salutogenese e.V., Göttingen
Behlert, Karolin, umwelt- und ordnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg
Bellert, Dr. med. Julia
Bindl, Peter, Wiesbaden
Bittner, Dr. med. Monika, München
Böhmer, Uli, IG Metall, Wiesbaden
Braun, Dr. med. Christof
Bredel, Hubert, Speyer
Buldmann, Dr. med. Cornelia
Buldmann, Jörn, Facharzt für Allgemeinmedizin
Bunse, Monika
Bunse, Volker
Cárdenas, Barbara, ehemalige Landtagsabgeordnete und Stadträtin der Kreisstadt Dietzenbach
Cuhls-Ackenhausen, Dr. med. Christoph, Facharzt für Allgemeinmedizin/Palliativmedizin, Burgwedel
Doerr, Dr. med. Christa
Doliwa, Johanna, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Freiburg
Dragon, Irmgard
Dzewas-Rehm, Fabian, Gewerkschaftssekretär, Marburg
Egidi, Dr. med. Günther
Ehling, Janis, Mitglied des Parteivorstands DIE LINKE
Enderwitz, Elke, Frankfurt
Enssle, Andres
Fachteam Beratung und Therapie für Geflüchtete, Evangelisches Zentrum für Beratung Am Weißen Stein, Frankfurt
Familien für den Frieden e.V.
Fırtına, Çiler, Dolmetscherin
Flamingo e.V.
Förderverein der Kreispartnerschaft Herford – Kobane/Nordsyrien e.V.
Förster, Lydia, Darmstadt
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin
Fraktion DIE LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin
Freedom For Iran
Freitag, Prof. Dr. med. Michael
Friedrich, Jutta
Friedrich-Söhner, Tilman
Frühwald, Ludwig
Gärtner, Taina, Bezirksverordnete der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin
Gedig, Thomas und Ruß, Ute (Eltern von Şehid Konstantin Gedig alias Andok Cotkar)
Gemeinschaftspraxis Dres. Teschner und Körner und Team, Frankfurt am Main
Gieseking, Dr. med. Carsten
Grieser, Annekatrin, Allgemeinärztin Bremen
Glöckler, Dr. med. Michaela, Dornach, Schweiz
Güven, Şermin (Disaster Research Unit, Freie Universität Berlin)
Habtom, Hana
Hackmann, Daniela, M.A.
Hackmann, Dr. med. Gerd
Haneberg, Almut, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin
Heesemann, Diether, Frankfurt
Hevrin Khalev Heilkräutergarten, Berlin
Initiative für den Bau einer Mädchenberufsschule für Kobanê/Landkreis Fürstenfeldbruck
Jasim, Dastan, Politikwissenschaftlerin
Jinwar Komitee Europa
Jogwer-Welz, Eike, Psychotherapeutin
Kamm – Kohl, Dr. med. Vanadis
Kasper, Franz, Römerberg
Keske, Dr. med. Wolfgang
Kessler, Dr. Achim, ehemaliger Bundestagsabgeordneter
Kirsch, Carolin, MdL NRW
Kleff, Dr. Hans-Günter, Politikwissenschaftler, Berlin
Klein, Hildegard
Kliczbor, Harald
Kolb, Joachim, Facharzt für Allgemeinmedizin
Kowarsch, Roswita und Christoph, Braunschweig
Krieg, Dr. Robert, Filmemacher
Kriegeskotten- Thiede, Dr. med. Isabel
Kropf, Petra, Pharmazeutin
Lache, Dr. med. Bernhard, Bremen
Langhof, Dr. med. Wolf-Dietrich, Delmenhorst
Leister, Dr. med. Roland
Lugert, Birgit, Eberstadt
Lugert, Elena, Krankenschwester
Maoz, Dr. med. Dorit
Marx, Dipl. Ing. Volker, Frankfurt am Main
Mast, Dr. med. Willi, Gelsenkirchen
Medizin für Rojava
Merk, Heidi, Niedersächsische Landesjustizministerin a. D.
Meyer, Dr. med. Klaus G.
Müller, Lioba
Neugebauer, Ruben
Phillipp, Tobias
Praml, Willy, Theater Willy Praml, Frankfurt
Reimer, Uschi, Schifferstadt
Responders e. V. – Bildung durch Begegnung
Rhenius, Anke
Rosenfeldt, Manuela
Rote Hilfe OG Frankfurt am Main
Roters, Jürgen, Oberbürgermeister der Stadt Köln a.D.
Schlothauer, Cornelia, Kunsttherapeutin
Schmalstieg, Dr. h. c. Herbert, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover a. D., Sprecher des Freundeskreises Hannover-Diyarbakir
Schneider-Rathert, Dr. med. Wolfgang
Schultes, Dr. med. Thomas
Schulz, Dr. med. Christoph, Konstanz
Seebrücke Krefeld
Seffrin, Dr. med. Joachim
Seidler, Christoph, Sprachlehrer
Sellin, Philippe
Silber, Christoph
Speiser, Dr. med. Bettina
Spiecker, Michael, Musiker, Schwabach
Spies, Rüdiger, Arzt für Allgemeinmedizin, Bremerhaven
Spitzer, Leonie, Lehrerin, Berlin
Stamborski, Maria
Steinle, Uwe, Glatten
Steuernagel, Dr. med. Holger
Steurer, Ulrike, Ärztin für Allgemeinmedizin
Stiftung der Freien Frau in Syrien (WJAS), Deutschland
Stockinger, Dr.med.univ. Florian
Straube, Martin, Arzt, Psychotraumatologe, Mitarbeiter der NGO „Freunde der Erziehungskunst – Notfallpädagogik“
Stüven, Dr.med Frank, Hausarzt in Hamburg
Take Action 4 Iran, Frankfurt
TERRE DES FEMMES Menschenrechte für die Frau e. V.
Thielen, Manfred, Arzt
TOKATA -LPSG RheinMain e.V., Verein zur Unterstützung indigener Sozial-, Umwelt-, Kultur- und Menschenrechtsprojekte & Leonard Peltier Support Group
Tull, Claudia, Frankfurt
Uebel, Dr. med. Til
Veil, Julia, Fachärztin für innere Medizin und Kardiologie
Weiss, Sybille, Sozialarbeiterin
Weiter, Gabriele, Speyer
Weiter, Wolfgang, Speyer
Werner, Dr. med. Dietmar
Wimmer, Dr. Christopher, Autor
Wimmer, Wilhelmine und Helmut, Teising
Wirtz, Stephan, Frankfurt
Women Defend Rojava, Frankfurt am Main
Wortmann, Dr. med. Ulrich
Zelle, Andrea, Heilpraktikerin
Zemke, Heinz, Braunschweig

Weitere Unterschriften bitte schicken an: frankfurt-kobane@gmx.de