Dêrik – eine Stadt mit multiethnischer und multikultureller Bevölkerung

Dêrik liegt in der sogenannten „Dschazira“, im Dreiländereck von Syrien, Türkei und Irak, in der Nähe des Flusses Tigris, der dort die Grenze zum Irak und zur Türkei bildet. Vor dem syrischen Bürgerkrieg lebten in der Stadt selbst etwa 26.000 Einwohner*innen und rund 75.000 Menschen im gesamten Unterdistrikt Dêrik mit einer Reihe von Dörfern. Die Stadt und der Unterdistrikt sind multireligiös und multiethnisch geprägt. Kurd*innen, Aramäer*innen, Araber*innen und Ezid*innen leben dort friedlich miteinander. Der Anteil der Kurd*innen in der Stadt wird auf 75 Prozent der Bevölkerung geschätzt, ihr Anteil im Distrikt Derik auf rund 72 Prozent der Bevölkerung. Die Zahl der Christ*innen in der Stadt Dêrik betrug vor dem syrischen Bürgerkrieg etwa 6.700, aktuell sind es wegen der kriegsbedingten Auswanderung nur noch etwa 3.250 Personen. In der Stadt gibt es 7 Moscheen und 7 Kirchen der verschiedenen christlichen Konfessionen.

Das Geflüchtetencamp „Newroz“

In der Nähe von Dêrik gibt es das Geflüchtetencamp „Newroz“. Ursprünglich war es für die Ezid*innen aus dem irakischen Shengal-Gebiet eingerichtet worden, die im August 2014 vor dem sogenannten Islamischen Staat (IS) flüchten mussten. Die kurdischen und christlichen Selbstverteidigungseinheiten schufen damals einen Fluchtkorridor von den Shengalbergen nach Dêrik und bewahrten so viele Frauen und Mädchen vor der Verschleppung und dem Verkauf auf den Sklavenmärkten des IS.

Im Laufe der letzten Jahre kehrten die meisten Ezid*innen in ihre Heimat zurück. Stattdessen kamen ab 2017 zunächst Flüchtlinge aus Afrin und ab Oktober 2019 viele Menschen aus den Gebieten zwischen Girê Spî und Serêkaniyê, die dort vor der einfallenden türkischen Armee und ihren islamistischen Hilfstruppen fliehen mussten.

Die Stadtverwaltung von Dêrik bemüht sich zusammen mit den Bewohnern, den Geflüchteten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen – trotz des Embargos der Türkei, der kurdischen Regionalregierung im Nordirak und der syrischen Regierung.

Gleichberechtigung der Geschlechter

Wie in allen Städten Nordsyriens, die unter demokratischer Selbstverwaltung stehen, spielt die Gleichberechtigung der Geschlechter in Dêrik eine zentrale Rolle. So ist zum Beispiel das Amt der Bürgermeister*innen mit je einer Frau und einem Mann besetzt, die als gleichberechtigtes Team die Stadt verwalten.

Geographie

Dêrik liegt auf 493 Metern Höhe. Die Stadt und ihre Umgebung haben ein Mittelmeerklima mit heißen, trockenen Sommern und kühlen regenreichen Wintern. Die Höchsttemperaturen liegen im August bei 41 Grad Celsius, die tiefsten Temperaturen im Januar liegen bei 2 Grad Celsius. Die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge beträgt 602 mm – was die höchste in Nordsyrien ist.

Die nähere Umgebung von Dêrik gehört zu den Ausläufern der Hügelkette Tur Abdin mit ihren Karstböden, die nördlich der 5 km entfernten türkischen Grenze liegt. Von dort kommen auch die Wasserläufe; ebenso werden die Quellen bei und in Dêrik von dort gespeist.

Das Umland ist eine der Hauptagrarregionen Syriens

Der Distrikt Dêrik gehört zu den Hauptagrarregionen von Nord- bzw. auch von Gesamtsyrien. Auch die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. Es wird hauptsächlich Weizen und daneben die sehr wasserintensive Baumwolle angebaut. Außerdem kultiviert man Linsen, Früchte, Gemüse, Erbsen und Gerste. Allerdings waren die bewässerten Flächen in der Dschazira bereits zwischen 2001 und 2009 um 25 bis 40 Prozent zurückgegangen, da der Grundwasserspiegel stark gesunken ist. Grundwasser muss heute nicht aus 50 Metern, sondern aus 150-200 Metern Tiefe gefördert werden, so dass die Bewässerungskosten durch dieselbetriebene Motorpumpen enorm sind. Der Grundwasserspiegel ist vor allem deswegen so stark gesunken, weil die Türkei auf ihrem Gebiet immer mehr Staudämme baut und dadurch das Wasser von Euphrat und Tigris und ihrer Nebenflüsse zurückhält. Auch hat die Türkei viele Tiefbrunnen in Grenznähe gebaut, mit der sie auf ihrer Seite das Grundwasser abpumpt, welches dann in der Dschazira fehlt.

Bis 2011 herrschte eine jahrzehntelange von der syrischen Regierung erzwungene Weizen-und Baumwoll-Monokultur vor. Abgesehen von der damit verbundenen Wasserverschwendung beruhte sie auch auf massivem Einsatz von Dünge- und Unkrautvertilgungsmitteln. Zudem musste die gesamte Produktion nach Aleppo, Homs und Damaskus transportiert und dort verarbeitet werden. Andererseits war es den Bauern in der Dschazira verboten, Gemüse anzubauen und alle verarbeiteten Nahrungsmittel mussten teuer gekauft werden. Es war sogar verboten Bäume zu pflanzen und selbst bereits vorhandene Bäume mussten gefällt werden. All diese Faktoren haben in den letzten Jahrzehnten enorme ökologische Schäden verursacht, die heute mühsam reduziert werden müssen. Heute versucht man auch wieder mehr Gemüse und Obstbäume anzubauen.

Ölquellen

Die Basis dafür, dass angesichts des Wassermangels überhaupt noch Landwirtschaft betrieben werden kann, sind die eigenen Ölquellen in der näheren und weiteren Umgebung. Früher wurde das Öl nicht vor Ort raffineriert, sondern in die Raffinerien von Banyas und Homs im Westen Syrien gepumpt. Inzwischen gibt es vor Ort eine primitive eigene Raffinierung von Rohöl zu Dieseltreibstoff. Für die landwirtschaftlichen Bewässerungspumpen, aber auch für die Aufrechterhaltung der Stromversorgung ist der selbst raffinierte Dieseltreibstoff unentbehrlich, denn die Drosselung des Euphratwassers durch die Türkei führt dazu, dass die Turbinen der Wasserkraftwerke nur mit verminderter Kraft laufen können. Ein großer Teil der Elektrizität wird deshalb von Dieselgeneratoren erzeugt, die durch ihre ungefilterten Abgase zu einer erheblichen Umweltverschmutzung beitragen.

Wirtschaftliche Situation

Nach wie vor ist Dêrik wie das gesamte Nord- und Ostsyrien weitgehend in die syrische Wirtschaft integriert. Die Währung ist das syrische Pfund, das seit Beginn des Bürgerkriegs einer starken Inflation unterlag. Es gibt allerdings keine Banken mehr, was den Transfer von Hilfsgeldern dorthin enorm erschwert. Viele Waren des täglichen Bedarfs werden aus dem Gebiet der Zentralregierung eingeführt, allerdings müssen an den Checkpoints dorthin mehr oder wenige hohe Abgaben bezahlt werden. Investitionsgüter lässt das Regime nicht oder nur mit extrem hohen Abgaben durch, so dass eine wirtschaftliche Entwicklung kaum stattfinden kann. Ähnlich ist die Situation an der Grenze zum kurdischen Autonomiegebiet im Irak. Sowohl dorthin, wie auch in das Regimegebiet werden Erdöl und landwirtschaftliche Produkte geliefert.