Die „Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat als Alternative zum autoritär ausgerichteten und nationalistisch-diskriminierenden Schulsystem der „Arabischen Republik Syrien“ bereits früh ein Bildungsprogramm mit einer neuen demokratischen Ausrichtung erarbeitet.

Neue Lehrpläne

Seit 2015/16 gelten die neu erarbeiteten Lehrpläne. Es geht darin vor allem um Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Schüler*innen verschiedenen kulturellen ethnischen und religiösen Hintergrunds, sowie um die Demokratie- und Friedenserziehung. Auch die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen ist Teil des neuen Bildungsauftrages. Ein wesentlicher Inhalt ist der muttersprachliche Unterricht für alle Schüler*innen. Bereits 2012 wurde in den selbstverwalteten Gebieten mit Kurdischunterricht begonnen. Mittlerweile sind Unterrichtsmaterialien in kurdischer, arabischer und assyrischer Sprache erstellt worden. In den für alle verpflichtenden Fortbildungen an der Akademie für die Lehrer*innenausbildung werden die Lehrkräfte für diese Erziehungsziele ausgebildet.

Neue arabische und kurdische Schulbücher der Selbstverwaltung
Neue arabische und kurdische Schulbücher der Selbstverwaltung

 

Schulen der Selbstverwaltung – kirchliche Privatschulen

Im Gebiet der Selbstverwaltung besteht allerdings immer noch ein Nebeneinander von Lehrer*innen, die entweder vom syrischen Staat oder von der Selbstverwaltung angestellt sind. Zudem gibt es dort neben den ehemals staatlichen Schulen, die heute alle der Selbstverwaltung unterstellt sind, auch noch die kirchlichen Privatschulen, die de facto Eliteschulen sind. Zwei dieser von den Eltern und von Kirchengemeinden finanzierten Privatschulen, nämlich eine der syrisch-orthodoxen und eine der armenisch-apostolischen Gemeinde gibt es auch in Dêrik. Deren Schulträger bestehen darauf, weiterhin nach den alten staatlichen Lehrplänen mit ihren undemokratischen, arabisch-nationalistischen Inhalten unterrichten zu dürfen. Das Angebot der Selbstverwaltung nach eigenen Lehrplänen auf Assyrisch oder Armenisch zu unterrichten, lehnen sie ab. Der Unterricht dieser Privatschulen findet also weiterhin fast ausschließlich auf Arabisch und mit den herkömmlichen Unterrichtsmaterialien statt. Der Assyrisch- oder Armenischunterricht hat dort keinen größeren Raum als z.B. Lateinunterricht in einer katholischen Privatschule in Deutschland. Der Hauptgrund dieser Situation in den Privatschulen ist die Angst der Eltern, dass Schulabschlüsse ihrer Kinder vom syrischen Staat und im Ausland nicht anerkannt werden. Als weiteres Argument wird gegen die Lehrpläne der Selbstverwaltung angeführt, dass darin angeblich „PKK-Ideologie“ vermittelt wird. Dies scheint allerdings nur ein Vorwand zu sein, da dafür nie handfeste Belege, z.B. in den bereits vorliegenden neuen Schulbüchern, angeführt werden.

Unterricht in den Muttersprachen

In den Schulen unter Aufsicht der Bildungsverwaltung lernen die Kinder in den Klassen 1 – 3 als erstes ihre jeweilige Muttersprache (Kurdisch, Arabisch, Assyrisch, usw.). Dann kommt ab Klasse 4 die Sprache einer anderen Gruppe dazu, meist ist dies Arabisch. Ab der Klasse 5 wird Englisch, Französisch oder Deutsch unterrichtet. Schulpflicht besteht bis zur 10. Klasse. In einigen Gemeinden werden Kinder verschiedener Ethnien an einer Schule gemeinsam beschult, in anderen Gemeinden gibt es Schulen, die nach den Siedlungsgebieten der Ethnien getrennt sind. Nach der 10. Klasse werden die Kinder an den weiterführenden Schulen zusammen unterrichtet. Der tägliche Unterricht dauert fünf Stunden, danach gibt es eine gemeinsame Reflexion des Unterrichts von einer Stunde, die immer in Gruppen von etwa 10 Schüler*innen stattfindet. Da es wegen der Kriegssituation an allem mangelt, vor allem an Unterrichtsräumen und an Lehrmaterialien, muss eine Gruppe vormittags unterrichtet werden und eine zweite in denselben Räumen nachmittags. 

Präsenz des Krieges im schulischen Alltag

Trotz der Bedeutung, welche die Selbstverwaltung der Bildung beimisst, sind die Folgen des Kriegs in den Schulen an vielen Stellen  präsent. Die sichtbaren Schäden an den Gebäuden, die unvollständige Innenausstattung, die mangelnde Versorgung mit Lehrmaterialien für den Fachunterricht und vor allem die dringend notwendigen Hilfen zur psychischen Verarbeitung der Kriegserlebnisse stellen alle Beteiligten vor hohe Anforderungen. In den ersten Wochen nach der türkischen Invasion weiter westlich bei Serê Kaniyê und Gire Spî im Oktober 2019 hatten auch viele Eltern in Dêrik Angst ihre Kinder zur Schule zu schicken und die Schulen blieben wochenlang fast leer. Auch mussten Schulen in Dêrik in Flüchtlingsunterkünfte verwandelt werden. Türkischer Artilleriebeschuss über die 5 km von Dêrik entfernte Grenze hinweg, die türkischen Kampfjets und Militärdrohnen wurden auch von den Kindern wahrgenommen und haben bei ihnen massive Ängste ausgelöst. Mit viel Engagement und Kreativität zeigen die Lehrkräfte den Schüler*innen, insbesondere im musikalischen und künstlerischen Bereich, Möglichkeiten auf, Erlebtes auszudrücken und ein Empfinden von Gemeinschaft, Sicherheit und Freude neu zu entwickeln.

Schulhof in Dêrik
         Schulhof in Dêrik

Schulfernsehen

Wie in den meisten Ländern musste auch in Dêrik und in ganz Nord- und Ostsyrien ab März 2020 der Schulunterricht im Zusammenhang mit der Corona-Quarantäne unterbrochen werden Die nordostsyrische Autonomieverwaltung versucht aber durch Schulfernsehen des Senders Rojava TV den Kindern weiterhin Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

Rojava TV: Logo des Schulfernsehens in der Corona-Krise
Rojava TV: Logo des Schulfernsehens in der Corona-Krise