Pressemitteilung 09.10.2019
Einen Angriff der türkischen Armee auf Nordsyrien zu verhindern, ist die einzige Möglichkeit eine humanitäre Katastrophe abzuwenden
Die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan geplante Einrichtung einer sogenannten „Sicherheitszone“ unter türkischer Kontrolle in Nordsyrien ist lediglich der Vorwand für einen bevorstehenden türkischen Einmarsch, welcher die Vertreibung der lokalen Bevölkerung bedeuten und auch in den Nachbarregionen bis nach Europa verheerende Folgen nach sich ziehen würde.
Welche Folgen ein solcher Angriff für die Bewohner*innen Nordsyriens hätte, lässt sich anhand des Verlaufs der türkischen Invasion im nordsyrischen Afrin erkennen. Nachdem die türkische Armee Anfang 2018 zusammen mit dschihadistischen Gruppen in das überwiegend kurdisch bevölkerte Afrin einmarschierte, mussten seine Bewohner*innen zu tausenden vor Plünderungen und Folter fliehen. In Afrin wurden systematisch Familien aus anderen Teilen Syriens angesiedelt, die die islamistische Ideologie der unter türkischer Schirmherrschaft operierenden Gruppen unterstützen.
Für den Rest von Nordsyrien hat Erdoğan das Gleiche geplant. Er präsentiert die Ansiedlung von Geflüchteten in Nordsyrien als eine Lösung, die zu insgesamt weniger Geflüchteten führen würde. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Erstens wird dabei unterschlagen, dass bereits Menschen in Nordsyrien wohnen und momentan im Rahmen der Selbstverwaltung ihr Leben selbst gestalten. Die derzeit in der Türkei ansässigen Geflüchteten kommen größtenteils aus ganz anderen Regionen Syriens. Eine vom türkischen Staat koordinierte Ansiedlung würde die Vertreibung der jetzigen Bewohner*innen Nordsyriens bedeuten und somit einen Bevölkerungsaustausch unter Erdoğans Aufsicht darstellen. Ein türkischer Angriff hätte also die Vertreibung zehntausender Menschen zur Folge und würde den Strom an Geflüchteten in die Nachbarländer und nach Europa nicht – wie Erdoğan behauptet – abschwächen, sondern vervielfachen.
Zudem hat sich in Afrin gezeigt, nach welchen Kriterien die Türkei die anzusiedelnden Familien auswählt: Entsprechend ihrer Loyalität gegenüber den mit der Türkei verbündeten islamistischen Milizen. Nordsyrien würde also ebenso unter die Herrschaft islamistischer Gruppen fallen. Unter diesen Umständen wären weder unser Verein noch unsere Partnerorganisationen vor Ort in der Lage, ihre humanitäre und gesellschaftliche Arbeit fortzusetzen.
Ein anderer Profiteur eines solchen Angriffs wäre der sogenannte Islamische Staat. Verteilt über verschiedene Lager in Nordsyrien warten die Anhänger*innen des IS auf ihre Chance, wieder in die Offensive zu gelangen. So leben zum Beispiel im Camp al-Hol an der Grenze zum Irak über 70.000 Menschen, von denen die meisten noch immer IS-Anhänger*innen sind. Schon jetzt haben die Kräfte vor Ort Mühe, das Lager unter Kontrolle zu behalten. Wenn diese Kräfte zusätzlich durch den Angriff der türkischen Armee geschwächt würden, könnte dies den Neubeginn des Kalifats darstellen. Dies hätte nicht nur das Leiden der lokalen Bevölkerung unter der islamistischen Schreckensherrschaft zur Folge, es würde auch die Wahrscheinlichkeit weiterer Anschläge in Europa und an anderen Orten deutlich erhöhen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, alle politischen und diplomatischen Mittel zu nutzen, um die bevorstehende humanitäre Katastrophe abzuwenden und sich für eine friedliche Lösung einzusetzen. Nachdem vergangene Friedenskonferenzen nicht zu einer Beilegung des Konflikts in Syrien geführt haben, müssen Deutschland und weitere Staaten in Europa und weltweit nun als Vermittler für einen Friedensprozess unter Einbeziehung der Selbstverwaltungsstrukturen von Nordostsyrien aktiv werden.
Unsere Freund*innen, Unterstützer*innen und Partnerorganisationen rufen wir auf, ihre Stimme zu erheben gegen die Angriffsdrohungen der Türkei und sich am Tag eines Angriffs an den bundesweit stattfindenden Demonstrationen zu beteiligen.
Für Rückfragen:
Elke Dangeleit, Vorstand
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