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Stellungnahme

Wir sind äußerst irritiert:

Die ‚Servicestelle Kommunen in der Einen Welt‘ (SKEW), hat es unter Bezug auf das BMZ abgelehnt, eine De­legationsreise in unsere Partnerstadt Dêrik im nordsyrischen Selbstverwaltungsgebiet zu fördern. Die Ableh­nung erfolgte, obwohl der Kleinprojektefonds des BMZ gerade dafür gedacht ist, Städtepartnerschaften mit dem Globalen Süden zu fördern und zu unterstützen.
Die Delegation sollte unsere laufenden Projekte in Dêrik besuchen, weitere geplante Projekte vorbereiten und die Beziehungen zwischen den Kommunen, vor allem zwischen der Zivilbevölkerung, vertiefen.

Eine merkwürdige Begründung des BMZ
Die Begründung des BMZ, die Unterstützung sei „bis dato auf die arabische Kernregion entlang des Euphrat unter Kontrolle der Syrischen Demokratischen Kräfte in den Gouvernoraten Deir-ez-Zor und Raqqa begrenzt“ ist für uns nicht nachvollziehbar. Was ist eine arabische Kernregion? Deir-ez Zor und Raqqa sind zwar mehr­heitlich arabisch geprägt, aber auch in dieser Region leben verschiedene Ethnien weitgehend friedlich mit­einander zusammen – so wie im gesamten Gebiet der Selbstverwaltung. Bekanntlich wurde im syrischen Gouvernement Al-Hassakah von Hafiz-al Assad in den 70er Jahren der sogenannte „arabische Gürtel“ geschaf­fen, um im Grenzgebiet zur Türkei die ethnische Bevölkerungszusammensetzung zugunsten von Araber*in­nen zu verändern. Dêrik liegt in diesem Gebiet und hat besonders in den umliegenden Dörfern einen ent­sprechend hohen arabischen Bevölkerungsanteil.
Unsere Projekte, wie die Begrünung des Flussbettes in Dêrik, ein Spielplatz, die Mobile Klinik für Frauen und Kinder im Umland von Dêrik oder ein geplanter Solarbrunnen zur Trinkwasserversorgung eines Stadtviertels kommen direkt der Zivilbevölkerung, egal welcher ethnischen Zugehörigkeit, zugute.

Wir fragen uns:

Lebt die arabische Bevölkerung der Region Dêrik in den Augen des Auswärtigen Amts (AA) und des BMZ am falschen Ort, weshalb sie nicht unterstützt werden darf? Und was bezweckt man mit der ethnischen Unterscheidung zwischen den im Gebiet der Selbstverwaltung zusammenlebenden Bevölke­rungsgruppen?
Wie begründet man, dass die türkisch besetzten Gebiete im Nordwesten Syriens über 30 Millionen Euro Hilfsgelder bekamen, das viel größere Gebiet der Selbstverwaltung jedoch nur 3 Millionen und dies einge­schränkt auf die sogenannte ‚arabische Kernregion‘ ? Im Gebiet der Selbstverwaltung leben hunderttausen­de Geflüchtete aus den türkisch besetzten Gebieten Afrin, Serekaniye und Gire Spi unter extrem schlechten Bedingungen in Camps. Weshalb soll bei ihnen keine Hilfe ankommen?
Die Bundesregierung wirbt für das zivilgesellschaftliche Engagement des Nordens für den Globalen Süden und unterstützt das über Förderprogramme. Wir engagieren uns in unserer Städtepartnerschaft für den Glo­balen Süden und trotzdem wird uns eine Förderung verweigert.

Wir erwarten darauf eine logische Antwort und wir meinen

Es gibt keinen rationalen Grund für diese Haltung des AA und des BMZ. Wir unterstützen mit unseren ökologischen, humanitären und sozialen Projekten die Zivilbevölkerung in Dêrik in einer demokra­tisch regierten Region, die von lauter Autokraten und totalitären Regimes umgeben ist. Die Streitkräfte der Selbstverwaltung, die SDF, haben zusammen mit der „Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat“ den IS weitgehend besiegt und dabei einen hohen Blutzoll gezahlt. Allein Dêrik hat bisher rd. 800 Gefallene in diesem Kampf zu beklagen.

Gemeinsames Manöver von Internationaler Allianz und SDF am 6.9.22 bei Dêrik (Quelle: sdf-press.com/en)

Der einzige plausible Grund für die Verweigerung von Hilfe und Förderung scheint uns in der ambivalenten Haltung der Bundes­regierung gegenüber der türkischen Regierung zu liegen.
Der ablehnende Bescheid verweist auf „schwere Verbrechen gegen das internationale humanitäre Völker­recht und Menschenrechte (insb. durch das syrische Regime)“. Das syrische Regime ist allerdings in Nordsyri­en nur noch in kleinen Enklaven vertreten. Die eigentlichen Verbrechen werden nach dem Sieg über den IS heute vor allem von der Tür­kei verübt.  Täglich sterben Menschen durch türkische Drohnenangriffe auf das Gebiet der Selbstverwaltung. In den türkisch besetzten Gebieten Nordsyriens sind Vertreibung, Vergewaltigung und willkürliche Verhaf­tungen durch das türkische Militär und die mit ihm verbündete sogenannte „Syrische Nationale Armee“ (SNA) an der Tagesordnung. Ziel ist offensicht­lich, die besetzten Gebiete zwangsweise zu türkisieren. Dass diese Gebiete der Türkei angegliedert werden sollen, hat auch Erdogan immer wieder betont.
Eigentlich hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in der Türkei Klartext ge­sprochen: »Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für Nordsyrien«.
Wir erwarten deshalb, dass im Auswärtigen Amt die Äußerungen ihrer Vorgesetzten ernst genommen wer­den und die Politik und Vergabekriterien gegenüber Nord- und Nordostsyrien umgehend verändert werden. Dies sollte sich auch auf die Förderpolitik des BMZ und der ihm untergeordneten Institutionen auswirken. Der Kuschelkurs mit Erdogan muss beendet werden, damit das Morden in Nordsyrien aufhört.
Indem wir als Städtepartnerschaft vor Ort die Zivilgesellschaft unterstützen, möchten wir dazu beitragen, Fluchtursachen zu verhindern. Das kostet auch Geld, nämlich Geld für Projekte, die wir nicht allein über Spenden realisieren können. Ernstgemeinte, wertebasierte, feministische Außenpolitik könnte helfen.

Berlin, 12. September 2022

Der Vorstand der Städtepartnerschaft

Hier die Ablehnung der SKEW/Engagement Global im Wortlaut:
Wir haben uns bezüglich der geplanten Delegationsreise an das BMZ gewendet und müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir nach eingehender Prüfung und entsprechender Stellungnahme keine Delegationsreise nach Nordsyrien im Rahmen des Kleinprojektefonds kommunale Entwicklungspolitik unterstützen können. Die Entscheidung begründet sich dabei wie folgt:
Aufgrund des anhaltenden Bürgerkriegs sowie die Involvierung von Akteuren in diesem in schwere Verbre­chen gegen das internationale humanitäre Völkerrecht und Menschenrechte (insb. durch das syrische Re­gime) sind Maßnahmen in Syrien für die Bundesrepublik mit hohen politischen Reputationsrisiken verbun­den. Vor diesem Hintergrund findet das Engagement des BMZ in Syrien innerhalb klar definierter Grenzen bzgl. regionalem Fokus und Art der Maßnahmen statt.
In Nordostsyrien ist die bilaterale Unterstützung bis dato auf die arabische Kernregion entlang des Euphrat unter Kontrolle der Syrischen Demokratischen Kräfte in den Gouvernoraten Deir-ez-Zor und Raqqa begrenzt. In Derik im Gouvernorat Al-Hassakah ist eine Unterstützung von Maßnahmen aus Mitteln des BMZ zur Zeit nicht möglich – hier ist einzig die Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amts tätig. Auch eine Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Derik ist, über zwingende Koordination, aus Mitteln des BMZ nicht möglich.